veröffentlicht am 22.04.2025
Singen als Ausdruck des Menschseins
Unsere Stimme ist unser ureigenstes Instrument – und Singen besitzt nachweislich heilende und therapeutische Wirkungen auf Körper und Seele. Auch gesamtgesellschaftlich kann das Singen etwas bewirken.
Singen ist Training
Beim Singen und auch beim Sprechen beanspruchen wir etwa 100 Muskeln – vom Kehlkopf bis zum Bauch. Beteiligt sind unter anderem das Zwerchfell, die Lunge, die im Kehlkopf befindlichen Stimmlippen und der sogenannte Vokaltrakt, zu dem Rachen, Mund und Nase gehören. „Dabei verwenden wir heute ja nur einen Bruchteil unseres Stimmvermögens“, erzählt Helmut Zeilner, Fachgruppenleiter für Gesang & Chor und Landeschorleiter des Salzburger Chorverbandes. „Von der Entwicklungsgeschichte des Menschen ist es so, dass zuerst die Singstimme da war, dann erst die Sprechstimme. Man könnte fast sagen, unsere Stimme ist ein bisschen verkümmert. Singen wäre eigentlich die ureigenste Funktion unserer Stimme.“
„Singen ist die eigentliche Muttersprache des Menschen“, …
… meinte auch der Geiger und Dirigent Yehudi Menuhin. Sogar mehr noch – das verbindende Element des Singens lässt die Herzen buchstäblich im Gleichklang schlagen: Forschende der Universität Göteburg fanden heraus, dass die Herzen von Chorsänger:innen nach einer gewissen Zeit im gleichen Takt schlagen und sich der Herzrhythmus stabilisiert – was sich wiederum positiv auf das Herz-Kreislauf-System auswirkt. Es ist dieses Getragensein im Klangkörper des Chores, das wohltuend ist. Diese Beobachtung macht auch Helmut Zeilner bei seinen Sänger:innen: „Ich höre immer wieder nach einer Chorprobe, dass Menschen vielleicht gar nicht so motiviert waren, zur Probe zu kommen – doch danach kommen sie auf mich zu und sagen, sie haben jetzt für zwei Stunden ihre Sorgen vergessen können. Man kann sich aber frei singen.“
Wirkkraft für eine bessere Gemeinschaft
Überhaupt sieht der Leiter des Salzburger KammerChors KlangsCala einen viel größeren Effekt des Singens auf die Zusammengehörigkeit: „Singen im Chor ist ein Gesellschaftsmodell: Ich bringe mich in etwas ein, ohne laut hervorzutreten. Ich trage bei zur Entstehung etwas Größerem, von dem ich selber wiederum profitiere. Ich denke, da kann sich schon unbewusst etwas auf das Zusammenleben übertragen.“ Deshalb sei auch die integrative Funktion des Singens nicht zu unterschätzen. Dabei zeigt sich auch, wie wichtig die Rolle einer einenden, reflektierten Führung ist – wie in seinem Fall als Chorleiter: „Das Einsingen bzw. Warm-up ist einer der allerwichtigsten Riten beim Singen. Menschen kommen in den unterschiedlichsten Energiezuständen zur Probe, manche müde, andere aufgekratzt. Meine Aufgabe in dieser halben Stunde Einsingen ist es, die Menschen zu sammeln, runterzuholen und auf das gleiche Energielevel zu bringen.“
Singen boomt
Dementsprechend ist die Entwicklung der letzten Jahre sehr erfreulich: Die Salzburger Chorlandschaft ist in den letzten 20 Jahren stark gewachsen und auch das Niveau stark gestiegen. Zeilner sieht den Reiz des Singens auch in der Authentizität: „Man öffnet sich, zeigt sich, auf eine authentische Art. Beim Singen kann man nur echt sein. Deswegen glaube ich auch, dass der Zustrom zu Konzerten und Musik trotz Digitalisierung ungebrochen ist bzw. sogar zunehmen wird.“
Quelle:
Grape, Christina et al.: Does singing promote wellbeing? An empirical study of professional and amateur singers during a singing lesson. In: Integrative Psychological & Behavioural Science, Vol. 38, 2002, p. 65 – 74.
Bilder:
Musikum / Neumayr
Alfred Moser